16/06/2021
Solange regierungsamtlich Menschen willkürlich Grundrechtseinschränkungen auferlegt bekommen, kann Kultur und Kunst ihre natürlichen Aufgaben nicht erfüllen, denn sie würde die Spaltung der Bevölkerung in Ungeimpfte, Geimpfte oder Zwangsverdächtigte und Legitimierte Mitmenschen unterscheiden.
Wir, das Kunsthaus Eigenregie, welches sich seit dem Bestehen ebenso gegen politischen Extremismus und für soziale Integration engagiert, sind weiterhin in der Kunst und Veranstaltungsfreiheit mit Verboten und illegitimen Auflagen belegt, werden unseren Anspruch für Veranstaltungen nicht ausüben dürfen.
Daher möchten wir an dieser Stelle die mahnenden Gedanken des Pianisten Martin Stadtfeld teilen:
Vom Verlust der Freiheit in Zeiten der Pandemie - Das Ausbrechen aus dem Käfig ist keine Option mehr
EIN GASTBEITRAG VON MARTIN STADTFELD am 9. Mai 2021
Viele Ältere sagen inzwischen: Welch ein Glück, dass ich bessere Zeiten erlebt habe – in der heutigen möchte ich nicht mehr jung sein. Die Art und Weise, wie so etwas als Selbstverständlichkeit akzeptiert wird, macht sprachlos.
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Martin Stadtfeld (Foto dpa) ist einer der bekanntesten deutschen Pianisten. Er konzertierte mit Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, der Academy of St Martin in the Fields, dem Leipziger Gewandhausorchester, der Staatskapelle Dresden und den Wiener Symphonikern. Stadtfeld, 1980 in Koblenz geboren, wurde viermal mit dem Echo Klassik Preis ausgezeichnet.
Es mag banal klingen, wie eine Selbstverständlichkeit in einem pluralistischen Staat: Wir sollten dringend abrüsten, auf unsere Worte achten und jedem Menschen eine persönlich geprägte Sicht auf die momentane Situation zugestehen. Oder ist das etwa schon zu viel verlangt?
Dazu zählt sicher, dass sich das Leugnen von Leid nicht gehört, denn Leid ist womöglich die am persönlichsten wahrgenommene Empfindung. Doch Leid ist in einer Gesellschaft so vielfältig wie die Lebensentwürfe und Wirklichkeiten dieser vormals recht bunten Welt. Um leicht abgewandelt mit Tolstoi zu sprechen: Alle glücklichen Menschen gleichen einander, jeder unglückliche Mensch ist auf seine eigene Weise unglücklich.
Die Antwort auf die Frage, ob die Maßnahmen gegen die Pandemie mehr Leid als Nutzen brachten, findet jeder für sich. Es bleibt so viel Unmessbares angesichts der Vielfalt dessen, woraus eine Gesellschaft besteht. Und jeder sieht ja auch nur seinen Ausschnitt der Welt. Wer meint, eine objektive Antwort darauf zu haben und etwa nur die Toten einer einzigen Krankheit zählt (und diese Summierung zum sich selbst legitimierenden Maßstab für Bekämpfungsmaßnahmen gegen eben diese Krankheit macht), der verkürzt. Nach dieser „Logik“ haben Maßnahmen solcherart immer einen Nutzen; je repressiver sie sind, desto nützlicher.
Von hohlem Pathos hinweggefegt
Aber man muss doch immer wieder die oben genannte Frage stellen, zulassen, dass sie gestellt wird, dass jeder sie nach seiner Maßgabe und seinen persönlichen Erfahrungen beantworten darf. Auch, dass er es vielleicht gar nicht will, es ihn oder sie überhaupt nicht interessiert – all das ist in Ordnung. Nur eines kann nicht sein: Dass solcherart Diskurs vom hohlen Pathos machtberauschter Instagram-Kerzenhalterpolitiker hinweggefegt wird. Das spaltet und ist unverantwortlich.
Nun ist es ja mitnichten so, dass die Opfer der „Kollateralschäden“ keine Rolle in der Berichterstattung spielen. Sie sind durchaus präsent. Bloß ähnelt die Art und Weise, wie über sie berichtet wird, der situativen Darstellung von Naturkatastrophen. Kinder, Gewerbetreibende, Jugendliche: Sie haben durchaus unser Mitleid, und das mit der Kultur ist auch irgendwie schlimm. Den einen trifft es halt, den anderen nicht – wie bei einem Erdbeben oder einer Überschwemmung. Wahrscheinlich verfängt diese Erzählung auch deshalb, weil eine Krankheit ja tatsächlich etwas Naturhaftes, letztlich Unbeherrschbares ist.
Der kalte Blick der Modellierer
Aber es sind doch politische Maßnahmen, die für die Schäden an der Zukunft und die Zerstörung von Existenzen verantwortlich sind. Selbst das wäre im Prinzip in Ordnung, wenn dem ein nachvollziehbarer Abwägungsprozess zugrunde liegen würde. Doch genau diese, andere Sichtweisen wirklich in die Entscheidungsfindung einbeziehende Gesamtschau fehlt.
Kinderärzte, Psychologen, Grundrechtler werden gerne mal angehört, und vielleicht auch Virologen, Epidemiologen, die andere Perspektiven einbringen. Gleichwohl wirkt es, als seien sie bloß politisch-mediales Feigenblatt. Letztlich entscheidet immer der kalte Blick der Virologen, Physiker und Modellierer aus der „Zero-Covid“-Fraktion: Eine Denkschule, die gleichsam religiöse Züge hat und vom gesunden vielfältigen Miteinander einer Gemeinschaft nichts weiß oder wissen will.
Auf welcher Seite des Käfigs?
Es trifft nicht zu, dass Kritik verboten ist. Man darf zum Beispiel über Sinn und Unsinn einzelner Maßnahmen streiten, auch über Verhältnismäßigkeit, über Konzepte, die doch Öffnungen ermöglichen sollten wie Testungen, Abstandsregeln, Kontaktverfolgung. Mit solchen Argumenten bewegt man sich durchaus im konventionellen Rahmen, sie sind zulässig und können ausgetauscht werden. Und doch muss ich gestehen: Fast ist mein Unbehagen am größten, wenn ich diesem Argumente-Pingpong lausche. Es geht mir dann wie Rilkes Panther: Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe, und hinter tausend Stäben keine Welt.
Denn wir dürfen quasi darüber debattieren, auf welcher Seite des Käfigs wir künftig in welcher Position leben wollen. Das Ausbrechen aus demselben ist aber keine Option mehr.
Die Gefahr der Gewöhnung
Ein Freund sagte zu mir: Wäre es denn nicht hilfreich, dass Veranstaltungen wieder durchgeführt werden könnten – mit Maske, Tests, Abstand und so weiter? Dann hätten unsere Kollegen, die von großer Not betroffen sind, doch wenigstens eine Perspektive? Und so geneigt ich war, zuzustimmen, so unwohl wurde es mir doch bei dem Gedanken, dass wir uns an all das gewöhnen werden. Irgendwann wird uns so vorkommen, dass eine Massenveranstaltung ohne gesundheitliche Sicherheitsvorkehrungen undenkbar, der fahrlässigen Tötung nicht unähnlich ist.
Wer möchte in einer solchen Dystopie leben? Manch einer wird sagen: Warum nicht, wenn es Leben rettet? Auch eine solche Haltung muss akzeptiert werden.
Doch das typisch europäisch-russische Element der Spontaneität von Entscheidung und Empfindungshaftem wird dann zerstört sein. Dostojewskis Protagonist in „Weiße Nächte“, der für viele schönsten Liebesgeschichte der Welt, begegnet seiner schicksalhaften Angebeteten mit FFP2-Maske? Ein Kafka wird sodann in sein Tagebuch schreiben: „Im Kino gewesen. Smartphone mit elektronischer Nachverfolgungs-App und digitalem Impfpass vergessen. Nicht eingelassen worden.“ Nein, wird er natürlich nicht, denn einen Kafka wird es in einer solchen Welt gar nicht geben.
Manch einer wird sagen: „Ist mit egal, lese ich eh nicht.“ Verstehe ich auch.
Nun ist nicht jeder ein Dostojewski oder ein Kafka. Doch dass es oft die spontanen Entschlüsse und Gefühlserlebnisse sind, die das Leben ausmachen und manchmal sogar entscheidend sind, das dürften viele Menschen schon erlebt haben. Und dass die wahrhaftige Begegnung mit unverhülltem Antlitz einer Annäherung ans andere (oder eigene) Geschlecht zuträglich ist – und wohl jeder junge Mensch ein Recht auf dieses zukunftsweisende Spiel hat –, ist sicherlich auch den meisten klar.
Viele Ältere sagen jetzt: Was für ein Glück, dass ich in einer besseren Zeit gelebt habe; in der heutigen möchte ich nicht mehr jung sein. Die Art und Weise, wie so etwas als übergeordnete Selbstverständlichkeit akzeptiert wird, macht sprachlos.
Wer leugnet, gilt als rechts
Doch wer all das fundamental kritisiert, der leugnet. Und wer leugnet, der ist rechts. Was macht es eigentlich mit der Sprache, wenn man jeden, der nachts nicht schlafen kann, weil er sich sorgt – um die Zukunft, um die Kinder, um europäisch liberale Geisteshaltung – als rechtsoffen oder gar N**i bezeichnet? Es soll sogar Menschen geben, die keine Kinder haben und die es dennoch quält, dass die Kleinen Masken tragen müssen, dass sie keinen Kontakt mit anderen haben sollen, dass sie ein Schuljahr, ein Sportjahr, ein Musikjahr verloren haben. Dass viele ihre Lebensfreude einbüßen.
Menschen dieser Art sind fast zu sensibel für die Zumutungen dieser Welt. Es sind oft dieselben, denen das Leid von Massentierhaltung und sonstigen Gemeinheiten tiefen Ku**er bereitet. Ist dies das Material, aus dem N**is gemacht sind? Was für eine groteske Verkehrung. Wie nennen wir dann künftig einen, der Molotowcocktails in die Flüchtlingsunterkunft mit Kindern wirft? Wie nennen wir jemanden, der Andersdenkenden, anders Empfindenden den Tod wünscht? Wie einen, der mordet, weil er Menschen, die er nicht versteht, das Lebensrecht abspricht? Als was bezeichnen wir jemanden, der alles Schöne, Spontane, Verrückte hasst, weil es seiner Lebenswirklichkeit widerspricht und ihm unkontrollierbar erscheint?
Den letztgenannten, den sollten wir auch nicht N**i nennen. Sondern ihm die Hand reichen, ihm zeigen, dass die Welt schön sein kann, dass erst aus dem Ungeplanten wahres Glück entsteht und es die Akzeptanz des Unkontrollierbaren ist, die uns zu halbwegs freien Menschen macht.
Aber wenn einem schwarzen Block der „Antifa“, der im Machtrausch des vermeintlichen Bessermenschen gegen alles pöbelt und prügelt, was anders ist, mutiges Eintreten gegen rechts attestiert wird, haben sich die Dinge in absurder Weise verschoben.
Es liegt in unserer Hand, der Aufhetzung zu widerstehen und auf unsere Worte zu achten. Worte, die sonst bald nichts mehr wert sind. Vielleicht finden wir dann auch gemeinsam den Weg aus dem Käfig.
Quelle:
https://www.cicero.de/kultur/verlust-freiheit-corona-pandemie-martin-stadtfeld
Viele Ältere sagen inzwischen: Welch ein Glück, dass ich bessere Zeiten erlebt habe – in der heutigen möchte ich nicht mehr jung sein. Die Art und Weise, wie so etwas als Selbstverständlichkeit akzeptiert wird, macht sprachlos.